Am Abend des 4. August, nach dreieinhalb Tagen Reise seit dem Aufbruch in Innsbruck, erreichten wir Tropea, einen Ferienort an der Küste der kleinen Ausbuchtung auf der Fußoberseite des italienischen Stiefels. Hier wollten wir hin. Nun konnte die Suche nach einer Ferienwohnung beginnen. Ich sehnte mich nach einer Dusche, einem Bett und der Erholung, die ich mir von diesem Urlaub erhofft hatte.
Doch zweierlei hielt mich von diesem Ziel ab: Erstens warteten mitten im August kein einziger Vermieter mit freien Apartments auf eine Handvoll Urlauber, man war flächendeckend ausgebucht. Außerdem hatte M. den beiden anderen keineswegs etwas von Ferienwohnung, ausspannen etc. erzählt. Die A. und die K. waren von vornherein davon ausgegangen, dass es sich um eine Reise mit genau einem Ziel handelte: Dem Weg. Möglichst weit kommen. Keinesfalls Geld für Übernachtungen ausgeben; das Geld viel lieber in Restaurants lassen, die eher über dem sonstigen Niveau unserer Reise lagen. Ich war, nicht zum ersten Mal in diesen Tagen, überstimmt. Kein Wunder, dass die drei so über meinen Koffer amüsiert gewesen waren. Nicht gerade das ideale Gepäck für einen solchen Urlaub.
Aus Rache über die verwehrte Herberge hinterließen wir den Einwohnern und Gästen von Tropea eine Menge Lärm. Größere Teile unseres Auspuffs hingen nur noch zur Zierde unter dem Wagen; unser kleiner Fiat Bronski machte mittlerweile Krach wie ein ganz Großer, auch wurde es auf der Rückbank recht warm.
Ich fand mich mit meinem Schicksal ab und beschloss, wenn wir schon weiter nach Süden fahren wollten, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen und mich bei Gelegenheit von der Gruppe abzusetzen und mich in die Obhut meiner Freundin D. und ihrer Tante zu begeben. Dort ein paar Tage zu verbringen und später gemeinsam mit den anderen wieder nach Österreich zurück zu fahren.
Die Nacht verbrachten wir am Meer. In einer abgeschirmten Bucht, die man nur über einen steilen Fußweg erreichen konnte, der an einigen verlassenen Bungalows entlangführte. Das Auto ließen wir oben an der Straße stehen. In der Bucht, die von steil aufragenden Felsen eingefasst war,schlugen wir unser Lager auf. Um nicht dem Wind ausgesetzt zu sein, legten wir uns hinter eine Reihe größerer Felsen. Es hätte eine ruhige und beschauliche Nacht werden können. Doch daraus wurde nichts. Des Nachts wachte ich von Geräuschen auf. Ich lugte über die Felsen auf den Strand und sah dort eine Gruppe von Menschen stehen. Das Geräusch, das mich geweckt hatte, stammte von einem Motorboot, das sich dem Strand näherte.
Ich habe bis heute keine Ahnung, was das für eine Transaktion war, die dort, wenige Meter von unserem Schlafplatz entfernt statt fand, aber es kann nichts Einwandfreies gewesen sein, was dort übergeben wurde, bevor sich das Boot wieder entfernte und die die anderen Gestalten über den Fußweg vom Strand verschwanden. Die anderen haben durchgeschlafen, und um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, habe ich sie auch nicht geweckt. Selten hatte ich in meinem Leben soviel Angst wie in dieser Nacht.
Schnell weg. Weit weg. Am nächsten Morgen über Reggio di Calabria nach Villa San Giovanni, mit der Fähre nach Messina und von dort aus schnell weiter nach Milazzo. Wir wollten von dort aus weiter zu den Äolischen Inseln, genauer gesagt nach Stromboli. Auf der Vulkaninsel wollten wir es uns ein paar Tage gut gehen lassen: Nicht mehr soviel fahren, das Auto war mittlerweile eher schwer zu beherrschen und nach den vielen Kilometern von Tirol bis zur Südspitze Italiens brauchten wir alle mal ein paar Tage ohne den Fiat.
Wir übernachteten in der Nähe von Milazzo an einem Strand mit Blick auf die beleuchtete Stadt. Entflammt von dieser romantischen Szenerie versuchte ich, mich um meine designierte Partnerin A. zu kümmern. Wir hatten uns bislang ja ganz gut verstanden und da M. und K. schon heftigst miteinander turtelten, sah ich keinen Grund, dass dieser romantische Funken nicht auch zwischen A. und mir überspringen sollte. Doch sie sah das offenbar anders und verwehrte meinen Avancen den Erfolg. Ich sah meine Chancen, entjungfert aus Italien zurückzukehren, schwinden. Verdammt.
Vor der Abfahrt mit der Fähre in Richtung der Insel Lipari und von dort aus weiter in Richtung Stromboli sahen wir uns mit einem logistischen Problem konfrontiert, in dessen Zentrum -- mal wieder -- mein Koffer stand. Mein Plan war, nach wenigen Tagen von Stromboli zu verschwinden und den lang ersehnten Besuch bei der Freundin D. zu beginnen -- sozusagen Urlaub vom Urlaub zu machen. Dazu passte mein Reisegepäck gar nicht, den Koffer konnte ich unmöglich mit auf die Insel nehmen, da wir auch dort nicht in einem Zimmer, einer Pension, einem Hotel oder einer Ferienwohnung übernachten wollten, sondern am Strand. Was könnte schließlich romantischer sein? Wobei ja meine romantischen Ambitionen mit der Nichterwiderung durch die A. weitgehend zum Erliegen gekommen waren. Die K. war zwar scharf, aber besetzt. Der M. ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er seine Jungfräulichkeit in Italien zu verlieren gedachte. Da blieb nicht viel übrig.
Doch zurück zu dem Koffer-Problem: Wir lösten es so, dass ich meinen Daypack für einen mehrtägigen Aufenthalt packte, der Koffer blieb im Auto. Wir verabredeten, dass ich bei der Rückkehr nach Milazzo den Koffer aus dem Auto nehmen und den mir übergebenen Autoschlüssel (wir hatten nur einen einzigen) an einer geheimen Stelle verstecken sollte: Im Auspuffrohr, das dadurch wenigstens wieder einen Zweck erhielt. Die anderen finden wiederum bei Ihrer Rückkehr einige Tage später den Schlüssel an der geheimen Stelle vor, sofern das vorher noch kein anderer getan hat. In diesem Fall würden sie weder Schlüssel noch Auto vorfinden, falls sich jemand dieser Schrottkarre erbarmen sollte.
Am Nachmittag des 6. August erreichten wir Stromboli. Die Sonne stand schon angenehm tief, als wir uns nach einem feinen Essen in einem Restaurant am Strand auf die Suche nach einem Schlafplatz machten. Wir gingen immer weiter vom Ort weg über den schwarzen Sand des Strandes, bis wir eine einsame schöne Ecke gefunden haben: am Ende einer Bucht, die Felsen hundert Meter entfernt luden zum Klettern ein. Das Wasser war klar und der vulkanische Sand war angenehm warm. Hier schlugen wir unser Lager auf.
Der nächste Tag wartete mit einigen Überraschungen auf: Erstens haben wir uns genau an dem Stück Strand niedergelassen, das uns am Tag vorher vom Kapitän der Fähre als "Höhö, sehen Sie mal da auf den Strand, da rennen die Nackedeis rum" gezeigt wurde. Ein Nudistenstrand. Seufz, dann auch das. Ich bin kein Fan von Freikörperkultur, aber die Leute um einen herum schauen schon ein wenig seltsam, wenn man sich dem nicht anschließt. Also runter mit den Klamotten. Zweitens gab es einen Grund dafür, dass der Sand des Strandes noch bis in den kühlen Abend hinein so angenehme Wärme abgab. Er wurde tagsüber einfach unerträglich heiß und speicherte diese Wärme. Ist ja auch klar: schwarzer Sand, viel Sonne: heiß. Sehr heiß. So heiß, dass es nicht viel Spaß macht, sich von seinem Handtuch wegzubewegen. Autsch.
Am späten Nachmittag erkundete ich die Felsen am Ende des Strandes. Ich kletterte ein wenig herum und fand tatsächlich eine schöne Stelle, an der ich mich zum Lesen niederließ. Dem Meer zugewandt war ich zum Strand hin durch einen Felsen optisch abgeschirmt. Etwas später kam ein Pärchen an den Strand, das sich in einiger Entfernung zu unserem Camp in der Nähe meines Felsens niederließ. Die beiden wähnten sich abgeschieden. Ausreichend entfernt von den Touristen fingen sie an zu fummeln; allen Regeln des guten Anstands folgend vertiefte ich mich weiter in mein Buch und bemühte mich, nicht hinter meinem Felsen hervorzuschauen. Bis ich zum Essen gerufen wurde. Ich versuchte, in möglichst großen Abstand und gemessenen Schrittes an den beiden vorbeizugehen, ohne hinzuschauen, was die beiden da machten. Wem war das unangenehmer: dem poppenden Pärchen am Strand oder mir? Wenn Blicke töten könnten, hätte ich heute keine Gelegenheit, das alles aufzuschreiben.
8. August. Eine Woche ungeduscht und unrasiert. Der Tag des vorläufigen Abschieds war gekommen. Ich packte meine Sachen zusammen, verabschiedete mich für die nächsten fünf Tage und ging in Richtung Fähre. Die Fahrt im Tragflächenboot zurück nach Milazzo fühlte sich an wie eine Reise im Orient-Express. Schierer Luxus. Ein bequemer Sessel. Toll.
In Milazzo dann folgende Szene: Junger Mann geht geht mit einem Rucksack und einer Kameratasche zu einem abgestellten Auto, öffnet den Kofferraum, entnimmt einen Koffer, legt etwas ins Auspuffrohr und entfernt sich vom Auto. Ob sich jemand darüber gewundert hat? Sah bestimmt komisch aus. Die Reiseverbindung mit dem Zug hatte ich schon vorher rausgesucht: Umsteigen in Messina, aber das würde ich auch noch hinkriegen.
Ab dann begannen fünf wunderbare Tage. Die liebe D. holte mich in Catania vom Bahnhof ab, nahm mich mit ins Haus ihrer Tante nach Mascalucia und nach einer Woche unterwegs unter hygienisch nicht ganz einwandfreien Bedingungen konnte ich unter dem Dreck und der Gesichtsbehaarung jemanden hervorholen, der mir einigermaßen ähnlich sah. In einem Bett zu schlafen kann so himmlisch sein.
Den genauen Verlauf dieser Tage will ich hier gar nicht im Detail wiedergeben. Wäre auch nicht so spannend, es war ein hervorragender Urlaub an der Ostküste Siziliens, mit allem, was man sich dort so anschaut: Catania, Taormina, Gole dell'Alcantara und einer Zugfahrt mit einer Bimmelbahn rund um den Ätna.
Fünf Tage später, am 13. August kam die Reisegruppe, um mich abzuholen. Der Abschied war schwer, nicht nur, weil ich D. bis zum nächsten Sommer nicht mehr sehen sollte, sondern auch, weil ich kaum Lust hatte, eine weitere knappe Woche auf dem Rückweg nach Innsbruck mit den drei anderen und dem kaputten Auto zu verbringen. Zumal alles, was ich auf dieser Tour bisher erlebt habe, erst das Vorspiel für den letzten Akt gewesen sein sollte.
(Teil 3)
Mittwoch, Januar 17, 2007
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1 Kommentar:
Hinreissend geschrieben, vielen Dank! Ich kann nicht fassen, das hier noch niemand kommentiert hat, wahrscheinlich sind noch all völlig sprachlos. Ich warte ungeduldig auf Teil 3!h
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