Dienstag, Januar 23, 2007

Ein Gedankenexperiment: Intellectual Property Gone Mad

Zwei Fälle in Deutschland, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben:

Fall 1: Der Architekt Meinhardt von Gerkan entwirft im Auftrag der Deutschen Bahn AG den neuen Berliner Hauptbahnhof. Schon während der Bauphase kommt es zu schweren Verstimmungen zwischen dem Architekten und dem Bauherrn, da die Deutsche Bahn AG die Pläne des Architekten abgeändert hat. Statt einer Gewölbedecke hat die Deutsche Bahn eine einfache Flachdecke einbauen lassen. Nach der Fertigstellung des Bauwerks verklagt der Architekt die Bahn wegen Abänderung seiner Pläne. Sein Werk sei verunstaltet worden, sein Ruf als Architekt ruiniert, wenn die Bahn das Gebäude nicht wie ursprünglich geplant baue. Das Berlineer Landgericht gibt von Gerkan in erster Instanz recht.

Fall 2: Der VW Personalchef Peter Hartz entwickelt als Vorsitzender einer Kommission im Auftrag der Bundesregierung ein Gesetz zur Grundsicherung. Das Gesetzespaket wird beim Weg durch die Gremien und Ausschüsse der Legislative verwässert, neu gebündelt und in vielen Punkten anders ausgelegt. Was bleibt, ist der Name: Hartz IV. Selbst wenn der Urheber dieser Reformen nicht heute vor Gericht stände, wäre sein Name auf Ewig mit einem Gesetz verbunden, das von vielen Menschen in diesem Land als Ausdruck sozialer Kälte und einer bis aufs tiefste antisolidarisch geprägten Gesellschaft gesehen wird. Peter Hartz ist nicht glücklich darüber und distanziert sich von den Gesetzen. Der Name bleibt.

Für mich sind die beiden Fälle nicht so weit auseinander, wie es im ersten Moment scheint. Die allgegenwärtige Debatte über geistiges Eigentum und Urheberrechtsschutz könnte eine sehr interessante Komponente dazugewinnen, falls Hartz die Bundesregierung gerichtlich zwingen sollte, die von ihm konzipierten Gesetze genau so umzusetzen, wie ursprünglich erdacht, da ansonsten seine Reputation schaden nehme. Dass das passiert ist, ist unbestritten. Der Mann hat seinen Ruf weg -- ganz unabhängig von der VW-Korruptionsaffäre.

Die Frage läuft darauf hinaus, was ein schützenswertes Gut ist. Unterscheidet sich der Bauplan für ein Bahnhofsgebäude von einem Gesetzentwurf? Beidem sind immense kreative und intellektuelle Prozesse vorangegangen, in beidem stecken viel Arbeit und beide Ergebnisse werden untrennbar mit den Namen ihrer Urheber verbunden. Das Landgericht Berlin urteilt, dass ein Bauplan (und das daraus resultierende Gebäude) ein Kunstwerk sei. Ist es ein Gesetzentwurf nicht auch?

Angenommen, Peter Hartz zöge vor Gericht und bekäme -- wie von Gerkan -- in erster Instanz recht. Was hätte das für Auswirkungen auf das Verständnis schützenswerter Werke?

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