Montag, Januar 15, 2007

Italienische Reise (Teil 1)

Es war ein anstrengender Frühsommer gewesen. Alles hatte sich in den ersten Monaten des Jahres 1991 um das frisch erworbene Abitur gedreht, und auch, wenn ich für die Prüfungen nicht ganz soviel gelernt hatte, wie allgemein empfohlen wird, hat dieses Ereignis sein Tribut gefordert: Die Chefredaktion und Produktionsleitung der Abi-Zeitung lag bei mir, ebenso war ich in die Organisation der Feierlichkeiten zur Zeugnisübergabe eingebunden. Dazwischen viele Partys, Abende in der Altstadt und die Gewissheit im Kopf, dass nun ein sehr langer Lebensabschnitt zu Ende gegangen war.

Da kam es mir gerade recht, als der Cousin M. mit der Idee aufwartete, gemeinsam für drei Wochen nach Italien zu fahren. Nach Süditalien, um genauer zu sein. Dort, irgendwo zwischen Neapel und der Stiefelspitze habe er von einem Ferienort gehört, an dem es sich ganz hervorragend aushalten lasse. Genau das, was ich brauchte. Ein Urlaub zum Entspannen. Hervorragend. Die A. wolle auch mitkommen. A. ist die Cousine meines Cousins, die nicht meine Cousine ist (Für die ganz Spitzfindigen: Sie ist auch nicht meine Schwester, sondern von der anderen Seite her mit meinem Cousin verwandt). Ich kannte sie noch nicht, aber M. versicherte mir, dass sie eine umgängliche Person sei. Bisher mochte ich alle Freunde von M. sehr gerne und ich hatte keinen Zweifel daran, dass das prima würde. Ganz verlockend war für mich auch die Vorstellung, die Schulfreundin D. wieder zu sehen, die einige Wochen zuvor zu einem einjährigen Italienaufenthalt nach Sizilien aufgebrochen war. In der Nähe von Catania wollte sie bei einer Tante das Jahr nach dem Abitur verbringen. Vielleicht sollte sich ja die Gelegenheit ergeben, ein paar Tage miteinander zu verbringen.

Voller Vorfreude saß ich mit meinem Hartschalenkoffer am 31.07. am Düsseldorfer Hauptbahnhof und wartete auf den Zug, der mich über Nacht nach Innsbruck bringen sollte. M. lebte in Innsbruck und von dort aus wollten wir mit seinem Auto gen Süden aufbrechen. Große Wiedersehensfreude am nächsten Morgen um halb sieben, als M. und ich uns um den Hals fielen. Doch für große Wiedersehensfeierlichkeiten hatten wir keine Zeit: Gegen Mittag sollte es losgehen und es mussten noch ein paar Dinge erledigt werden. Das Wichtigste war der Besuch beim ÖAMTC, um dort Benzingutscheine zu kaufen.

Benzingutscheine waren eine italienische Subventionsmaßnahme für Touristen, bei der es jedem Verfechter eines offenen, europäischen Marktes kalt den Rücken herunterläuft. Italien war traditionell ein Hochpreisland für Kraftstoffe. Um aber trotzdem Touristen ins Land zu locken, konnte man im europäischen Ausland über die Automobilclubs zu einem günstigen Preis ein Gutscheinheft kaufen, dass es einem erlaubte, in Italien zu nicht-marktüblichen Preisen zu tanken. Man bezahlte das Benzin vorab im Ausland und händigte dem Tankwart einen Gutschein aus, den er wiederum mit irgendeiner Organisation verrechnen konnte. Obskur, aber Anfang der Neunziger Jahre durchaus noch eine übliche Sache. Außerdem war im Preis des Gutscheinhefs noch eine Unfallversicherung inbegriffen.

M. eröffnete mir an diesem Morgen, dass nicht nur die A. mitfahre, sondern auch die K., die er kurz zuvor kennen gelernt habe und die er spontan eingeladen habe, mitzufahren. Sie sei ein tolles Mädchen und würde unsere Reisegesellschaft bereichern und die Reisekasse entlasten. Au, das war gut. Zwei Jungs, zwei Mädchen: Ich begann mir sofort auszumalen, wann, wo, wie und mit wem ich in diesem Urlaub meine Unschuld verlieren würde. Um die Verteilung der Mädels würde es auch keinen Streit geben, denn das M. auf seine Cousine scharf war, konnte ich mir nicht vorstellen. Perfekt.

Etwas unglücklich schien M. aber zu sein, als er mein Reisegepäck sah: Kein Rucksack, den man leicht transportieren konnte, sondern ein gut gefüllter Koffer. Immerhin hatte ich einen Schlafsack dabei und einen kleinen Rucksack für den Tagesgebrauch. Wir würden ja nicht direkt nach Süditalien fahren, sondern uns auf dem Weg über die Landstraßen ein wenig Zeit lassen, um Land und Leute kennenzulernen und zu genießen (Toskana! Umbrien!). Außerdem könne man so die Maut für die Autostrada sparen.

Das Auto hatte er vor nicht allzu langer Zeit in der Werkstatt gehabt. Es seien zwar noch Winterreifen drauf, aber das sei nicht so schlimm, man könne, dürfe und wolle ja ohnehin nicht so schnell fahren. Es war das erste Auto meines Vetters. Ein Fiat 131, ein Modell, das Mitte der Siebziger Jahre gebaut worden war. Ein kleines Problem gebe es aber schon mit dem Wagen, sagte M.: Er habe keinen TÜV mehr und die Kulanzfrist von drei Monaten sei auch gerade abgelaufen. Wenn wir also beim Überqueren des Brenners an der Grenze Probleme kriegen sollten, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Wir waren jung und kreativ und voll guter Dinge.

Abfahrt am 1. August gegen 14 Uhr in Innsbruck. Der Fiat 131 war voll gepackt mit vier Reisenden und dem Gepäck. Nicht nur der Hartschalenkoffer war ein wenig unhandlich, sondern auch meine Tasche mit der Spiegelreflexkamera und den drei Objektiven, die zu dieser Zeit niemals von meiner Seite wich. Die Stimmung war hervorragend, wir waren hungrig auf Erfahrungen und ich freute mich auf die Ferienwohnung, die wir, so M., zwar noch nicht gebucht hatten, aber garantiert am Ziel unserer Reise, in Capo Vaticano, vor Ort finden würden.

Entgegen unserer Erwartungen war die Ausreise aus Österreich mit unserem Auto kein Problem. Die italienischen Grenzer nahmen auch keinen Anstoß an unserem Fahrzeug. Ab dem Brenner ging es nur noch bergab, bis zur Po-Ebene. Den ersten italienischen Kaffee haben wir in Trient getrunken, von dort aus fuhren wir weiter in Richtung Süden: Bis zum Abend wollten wir in der Toskana sein. Aber nicht in Florenz, sondern in Siena. Und dort abends essen und irgendwo übernachten.

In Siena angekommen suchten wir uns keineswegs eine Pension oder ein Hotel -- es wurde schnell befunden, dass wir uns ja auch mit Schlafsäcken und Isomatten irgendwo auf eine Wiese legen könnten. Es war schließlich Anfang August und schlafen unter dem Sternenhimmel der Toskana ja auch irre romantisch. Ich war nicht begeistert von der Idee, aber für eine oder zwei Nächte geht das ja auch, dachte ich, schließlich sind wir ja in spätestens zwei Tagen in einer Ferienwohnung. Ein Zelt wäre schön gewesen, aber so etwas hatten wir nicht.

Am nächsten Tag brachen wir auf und fuhren über Landstraßen durch Toskana und Lazio in Richtung Rom. Die tolle Landschaft, ein verlassenes Haus am Straßenrand, das uns ein wenig Schatten spendete und jede Menge Spaß mit einer saftig-triefenden Honigmelone am Mittag ließen mich die brütende Hitze vergessen. Es war ja auch nicht mehr weit bis zum Lago di Bolsena, an dem wir uns ein wenig abkühlen wollten.

Ärgerlich nur, dass wir zwischendurch eine Werkstatt aufsuchen mussten, da unser Auto eine Macke hatte: Bei Geschwindigkeiten ab 80 km/h fing die Lenkung an zu schlackern, doch bei 110 hörte das schon wieder auf, konnte sich also nur um eine Kleinigkeit handeln. Der Mechaniker, dem die A. unser Problem in radebrechendem Italienisch zu erklären versuchte, schob es auf die Winterreifen. Dann muss man halt das Steuer ein wenig fester anfassen. Dem Auto konnte man aber auf keinen Fall böse sein: Schließlich hatte es einen schönen Namen: Fiat Bronski. Die kleine Stoffente, die am Rückspiegel baumelte, hieß Leo Breschnew und wie sollte ein Auto sonst heißen, in dem ein Russe wohnte? Dass die Karre unterwegs ein wenig lauter wurde, lag bestimmt am Auspuff, störte aber auch nicht weiter.

Rom ließen wir links liegen, ab dort wollten wir über die Autobahn weiter nach Süden. Caserta soll ein schönes Schloss haben, das wollten wir sehen und dann irgendwo zwischen Caserta und Neapel am Wegesrand übernachten. Für eine Besichtigung des Schlosses war es zu spät, wir fuhren dran vorbei und suchten auf der Straße nach Neapel eine passende Stelle, um unser Nachtlager aufzuschlagen.

In unserer romantischen Vorstellung von Italien (Toskana! Umbrien! Unberührte Strände!) kam ein Konzept wie "Ballungsgebiet" nicht vor. Dass es aber auch im ländlichen Süden von Italien nicht alle paar Kilometer eine lauschige Wiese mit Bach und einigen Bäumen gab, stellten wir fest, als wir die 40 Kilometer zwischen Caserta und Neapel durch Wohngebiete, Industriegebiete und gelegentlich an einem Feld vorbeifuhren. Man hatte bei der Besiedlung dieses Landstrichs offenbar nicht an Jugendliche gedacht, die hier wild campen wollten.

Ehe wir uns versahen, fuhren wir durch das spätabendliche Neapel. Müde und ausgelaugt sollte man nicht sein, wenn man das erste Mal durch diese Stadt fährt und auf die harte Weise die örtlichen Verkehrsregeln zu verstehen sucht. M. hatte Nerven aus Stahl und fuhr uns zu einem großen, leeren Parklatz, auf dem in der Mitte ein paar Büsche gepflanzt waren. Nicht ideal für uns, nicht meine Vorstellung einer bequemen Nacht, aber was soll's? Wir waren noch maximal einen Tag von dem sagenumwobenen Ort entfernt, an dem es vor Apartments mit Blick auf das Mittelmeer nur so wimmeln würde.

Ich blieb zur Bewachung des Gepäcks im Auto und übernachtete auf der Rückbank. Um nicht zu ersticken, hatte ich das Fenster heruntergekurbelt. Durch eben dieses Fenster zog in der Nacht jemand an meinem Schlafsack. Ich wurde wach und fragte den jungen Mann, der vor dem Auto stand, was er wolle. "You have cigarette?" fragte er. Nein, habe ich nicht, gute Nacht. Wenig später zog es wieder an meinem Schlafsack: Der gleiche Typ. Offenbar wollte er gar keine Zigarette, sondern meinen Schlafsack klauen, in dem ich gerade schlief. "You have cigarette?" "No, fuck off!".

Die Nacht endete früh, als die Busse kamen. Der leere Parkplatz war keineswegs ein einfacher Parkplatz, sondern so etwas wie der zentrale Busbahnhof, und als an diesem Samstag morgen die Busfahrer lautstark ihren Platz reklamierten, brachen wir hektisch auf, in Richtung Pompeji. Die Ruinenstadt wollten wir uns ansehen. Allerdings gingen hier die Vorstellungen innerhalb unserer Gruppe weit auseinander, wie dieses bewerkstelligt werden sollte. Meine Vorstellung: Auto in der Nähe des Eingangs abstellen, Am Eingang den Eintritt bezahlen und die Ruinen anschauen. Die Vorstellung der Mitreisenden: Auto etwas weiter entfernt vom Eingang abstellen, eine unbeobachtete Stelle finden, über den Zaun klettern und den gesparten Eintritt in einem Restaurant auf den Kopf hauen. Überstimmt.

Blöderweise hatte ich meine Zahnbürste im Auto gelassen, sodass ich, um zumindest einen Mindeststandard an Hygiene aufrecht zu erhalten, bei dem freundlichen Toilettenwärter für 2000 Lire eine nicht-verpackte Zahnbürste kaufen musste. Fragt mich einfach nicht, warum ich das getan und sie auch noch benutzt hatte. Mich schüttelt es heute noch, wenn ich dran denke. Der Rest von Pompeji (wörtlich!) war beeindruckend.

Wir waren nur noch eineinhalb Tage von der mittlerweile schwer ersehnten Ferienwohnung entfernt. Was uns noch davon trennte, war eine landschaftlich aufregende Fahrt durch die Campania und entlang der calabrischen Küste. Wir hätten vielleicht auch etwas kürzer gebraucht, wenn unser Kartenmaterial über eine einfache Autobahnkarte hinausgegangen wäre. Sich über Landstraßen dem Ziel zu nähern, funktioniert ohne Karte solange gut, solange die Straßen gut ausgeschildert sind. Am eigenen Leib erfuhren wir das Nord-Süd Gefälle Italiens. Im Norden war die Straßenbeschilderung kein Problem. Hier unten, südlich von Neapel, wusste man, wo man langfahren muss, um ans Ziel zu gelangen. Wenn nicht, hat man halt Pech gehabt.

A propos Gefälle: Das gab es auch reichlich. Direkt neben der Straße, die Steilküste runter. Auf der Küstenstraße, die wir uns mit vielen großen LKW teilten. Genau die Straße, auf der die K. darauf bestand, ihre ersten Fahrerfahrungen zu machen, seit sie in derselben Woche den Führerschein bestanden hatte. In einem, um zu rekapitulieren, alten Auto, dem ich immer weniger traute, da die Lenkung immer schwerer zu beherrschen war. Dass das Auto mittlerweile auch unerträglich laut war, weil der Auspuff nur noch an einem seidenen Faden hing, störte uns wahrscheinlich weniger als die Leute, durch deren kleine und romantische Bergdörfer wir fuhren.

(Teil 2)

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