Montag, Mai 29, 2006

Mein Pflichtjahr im Fußballverein

Als ich so gespielt habe, hatte ich hinterher den Anstand, die Sportart zu wechseln.


Ziemlich genau diesen Satz formulierte ich ins Blaue, als am Samstag beim letzten Spieltag der Saison am Millerntor der FC St. Pauli auf ganzer Linie und komprimiert auf 90 Minuten demonstriert hat, warum sie den Aufstieg nicht geschafft haben.



Auch der kleine Alexander war mal von dem Jungs-Wunsch beseelt, ein großer Fußballspieler zu werden. Ich sah in mir den dribbelstärksten Abwehrspieler, den der Düsseldorfer Norden je gesehen hat. Was folgte, war ein Jahr Mitgliedschaft im Lohauser Sportverein, das ich im Nachhinein als eine der furchtbarsten Zeiten meines Lebens einordnen möchte.



Noch nie hatte ich so sehr das Gefühl, fremdgesteuert in einer Gruppe von zum großen Teil schwer unsympathischen Leuten hin- und hergeschubst zu werden. Vielleicht war dieses Jahr der tief verborgen liegende Grund, den Kriegsdienst zu verweigern. Das, was ich im Leben an Kompaniegeist mitnehmen musste, habe ich in diesem Jahr auf's Feinste serviert bekommen.



Fairerweise muss ich zugeben, dass ich beim Fußball die absolute Niete war (und vermutlich auch immer noch bin). In blatanter Selbstüberschätzung versuchte ich, mein höchst unterschwelliges Talent im Rahmen der D oder E Jugend (weiß ich nicht mehr) zu schärfen. Ich ging in die fünfte Klasse und sah, dass die beiden hochgradig ballbegabten Freunde B. und O. schon seit längerem Erfolg und Anerkennung im Vereinsfußball fanden. Dorthin wollte ich auch.



Zum Probetraining an einem Mittwoch um 15:30 kam ich noch mit normalen Turnschuhen, da ich noch keine Fußballschuhe hatte. Der Jugendtrainer hat mich trotzdem mitspielen lassen. Vermutlich aus Mitleid. Die Fußballschuhe mit den unmöglich langen Schnürsenkeln, die ich mir ständig neu binden musste, machten es allerdings auch nicht besser -- dafür deutlich unbequemer.



Wir waren ein geburtenstarker Jahrgang in diesem Verein. So stark, dass sehr schnell klar wurde, dass zwischen mir und einem Platz in der Mannschaft mit meinen Freunden noch ein knappes Dutzend weiterer Aspiranten stand, die sich deutlich größere Hoffnungen machten durften, zu jenen zu zählen, die nach dem obligatorischen Gruppenduschen aufgerufen wurden, sich am Samstag "zum Spiel" einzufinden.



Der Rest des Jahrgangs wurde dominiert von einem etwas frühreifen, bereits mit einer blühenden Akne gesegneten Bully, der sehr deutlich einordnete, welchen Status man in dieser Gruppe hatte. Er war mit knapp mehr Talent gesegnet als ich, konnte sich aber auch keine Hoffnung machen, jemals Stammspieler zu werden. Stattdessen nutzte er seinen fortgeschrittenen Entwicklungsgrad (Pickel! Schamhaare!), um nach Belieben die anderen Gimpel und Balljungen zu terrorisieren.



Dem Trainergespann war das recht egal. Der Haupttrainer war hauptberuflich Getränkefahrer und genoss die 90 Minuten Training pro Woche, um zu demonstrieren, dass er anderen Leuten einiges voraus hatte; auch wenn diese anderen Menschen 20 Jahre jünger waren als er. Der Assistent war nur knapp der Pubertät entwachsen, er konnte sich auch nicht um die Harmonie im Team kümmern. Er war viel zu sehr beschäftigt damit, sich gegen den Spott meiner Mannschaftskameraden zu wehren, weil er immer die billigen No-Name Zigaretten rauchte. Soviel zu seiner Autorität.



Der Haupttrainer hatte großen Spaß darin, uns ohne ein erkennbares Konzept abwechselnd über den Platz oder über die Sandberge der nahen Autobahnbaustelle zu scheuchen. Ich kann mich nicht darin erinnern, dass uns dort mal vermittelt wurde, dass Fußball ein Sport ist, der ein gewisses Maß an Taktik erfordert. Es ging entweder um Konditionstraining oder um Trainingsspiele. Weder bei dem einen noch bei dem anderen konnte ich bestechen. Der Mitleidsfaktor des Trainers hatte sich zwischendurch abgenutzt und mitterweile war klar, dass er mich nicht zu seinen Favoriten zählte. Rein leistungsmäßig ist ihm das auch nicht zum Vorwurf zu machen.



Zum Ende der Saison war unsere Mannschaft sehr erfolgreich. Zumindest die Mannschaft, die samstags die Meisterschaftsspiele bestreiten durfte. Man hatte den Aufstieg in die sagenumwobene "Sonderliga" geschafft. Es gab nur ein kleines Problem: Der größte Teil der Mannschaft, der den Aufstieg erspielt hatte, stieg altersbedingt auch in eine andere Jugendmannschaft auf. So blieb der ruhmreiche Platz in der Sonderliga den Jüngeren vorbehalten, die sich -- wenn ich mich richtig erinnere -- zum großen Teil aus eben jenen Gimpeln und Wasserträgern zusammensetzte, die mir auch sonst das Leben zur Hölle machten.



Wider Erwarten kam doch mein erster Einsatz: Gruppenduschen, Abtrocknen und dann die Worte des Trainers:



Am Samstag will ich sehen: [...], Alexander, [...]


Ich war der König der Welt. Nun hatte es doch etwas genützt, dass ich wochenlang auf der elektronischen Schreibmaschine meines Vaters Mannschaftsaufstellungen durchgedacht habe. Ich war dabei. Zwar nur im B-Team, aber nun konnte ich es allen beweisen.



Das Spiel am folgenden Samstag war ein heilsamer Schock: Wir spielten gegen Sparta Bilk im Süden der Stadt. Die erste Halbzeit ging noch ganz gut, doch in der zweiten Hälfte verschuldete ich zuerst einen Elfmeter und schoss danach das erste und letzte Tor meiner Laufbahn. Leider traf ich das falsche Tor. Wir verloren 1:3. Mein Stammplatz war ernsthaft gefährdet.



In der Woche drauf bekam ich eine zweite Chance. Gegen Post SV habe ich eine halbe Glanzleistung gebracht und dem Gegner den Ball abgenommen. Um die Situation zu entschärfen, spielte ich ihn ins Seitenaus. Das Gesicht des Mannschaftskameraden und die barsch gestellte Frage, warum ich denn nicht nach vorne spielen würde, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Zur Halbzeit wurde ich ausgewechselt. Da wir zu wenig Trikots hatten, wurde ich gebeten, einem anderen Spieler das Trikot zu geben. Ich sollte ihn in der Umkleidekabine treffen. Habe weder die Umkleide gefunden, noch den Teamkameraden erkannt. Ab da galt ich bei Trainern und Betreuern als grenzdebil.



Krönung dieser Zeit war der Vereinsausflug nach Meschede im Sauerland. Mir war schon vorher schlecht. Wir sollten gegen eine Mescheder Jugendmannschaft spielen und hinterher einen zünftigen Grillabend mit anschließender Übernachtung in der Jugendherberge verbringen.



Das Freundschaftsspiel wurde so organisiert, dass in der ersten Halbzeit die Gimpel und Wasserträger spielen sollten. Es wurde die Devise ausgegeben, dass wir uns dem Gegner nicht so offen zeigen sollten, waren wir doch deutlich mehr Spieler als ein normales Auswechselkontingent verkraftet hätte. Daher wurde in der Pause einfach die ganze Mannschaft ausgetauscht. Der Plan ging nicht ganz auf, die Sauerländer sind dahinter gekommen.



Zu der Nacht in der Jugendherberge muss ich nicht viel sagen, außer dass es für den Schamhaar- und Akne-Bully ein Tag wie Ostern und Weihnachten gleichzeitig gewesen sein musste, uns auch noch nachts traktieren zu können. Mein armes Elefantenkissen. Hätte ich es doch zu Hause lassen sollen?



Nach einer Zeit, von der ich nicht mehr genau weiß, wie lange sie war, die sich aber anfühlt wie ein gutes Jahr, kam ich zum Tischtennis. Mein Vater wandte noch ein, dass es gerade für Jugendliche in meinem Alter wichtig sei, einen Mannschaftssport zu betreiben, aber es war mehr ein freundlicher Hinweis als ein Befehl. Meine Abmeldung beim LSV ging kurz und schmerzlos. Sie hatte schriftlich zu erfolgen und wurde mit einer halbherzigen Frage quittiert, warum ich denn den Verein verlassen wollte. Ich murmelte etwas von "Fußball zu anstrengend" und war heilfroh, diesem Irrsinn entkommen zu sein.

Sonntag, Mai 28, 2006

Regeln, die ich nicht verstehe

Letzte Woche gab es bei der Bäckerei Allwörden im Hamburger Hauptbahnhof ein Sonderangebot: Leckere Quarkhörnchen und ebenso leckere Erdbeerkörbchen. Beide Sorten kosteten im Einzelverkauf um die 1,50 €, beim Kauf von zweien jeweils 1 €. Feines Angebot, dachte ich, und bestellte jeweils eins. Wurde jedoch von der Verkäuferin darauf aufmerksam gemacht, dass das Angebot nur gelte, wenn man zwei Stück desselben Produkts abnehme. Auch eine Frage, ob sie denn nicht mal fünf gerade sein lassen könne, kombiniert mit einem extra-freundlichen Lächeln half nicht. Die Regeln des Sonderangebots sind nun mal so gemacht und da kann man auch nichts gegen tun. Obwohl ich beim besten Willen nicht verstehe, was den Unterschied ausgemacht hätte. Die beiden(!) Quarkhörnchen waren aber in Ordnung.

Dienstag, Mai 23, 2006

Willkommen, Julia!

Bin aufgeregt. Wollte eben die Freundin in Kanada anrufen, um nach vier Tagen Abwesenheit von Barmbek den Stand der Schwangerschaft zu erfragen. Als der Mann ans Telefon ging, dachte ich mir schon, dass etwas geschehen war. Doch er fragte nach der neuen Wohnung und sprach so unbekümmert über mein Blog, dass ich mir nichts Ungewöhnliches mehr dachte.



Du willst bestimmt R. sprechen. Das ist leider nicht möglich. Die ist im Krankenhaus. Mutter und Kind sind wohlauf.


Rechtzeitig zum Verfassungsgeburtstag am 23.05. gebärt die Doktorin der Juristerei ihre zweite Tochter. Wenn das mal kein Omen ist...



Auf jeden Fall von hier aus die allerherzlichsten Glückwünsche nach Montréal. Wenn das kleine Mädchen auch nur ein wenig nach den Eltern geraten ist, wird sie ein wunderbarer Mensch werden.

In eigener Sache

Weiß jemand, wo ich nach dem Umzug den Karton mit dem Schuhputzzeug hingeräumt habe?

Donnerstag, Mai 18, 2006

Unschuldiger Aufmerksamkeitserreger

Heute einen zuverlässigen Weg gefunden, wie man dafür sorgen kann, dass Mails in überfüllten Eingangskörben nicht untergehen. Ich muss blöd sein, diese Methode hier zu verraten, aber so viele Kollegen sind ja nicht unter den Lesern...



Wenn man möchte, dass eine Mail beim Empfänger in der Inbox auf jeden Fall optisch hervorsticht, empfiehlt es sich, die Nachricht mit "niedriger Priorität" zu versenden. Der blaue Pfeil, den Outlook dann zeichnet, ist auf jeden Fall auffällig:





Das Kalkül ist, dass das unerwartete Zeichen die Aufmerksamkeit des Empfängers unmittelbar auf diese Mail lenkt. Kein anderer benutzt diese Kennzeichnung. Ist zumindest heute einmal aufgegangen. Meine Mail wurde binnen weniger Minuten bearbeitet. Darf man aber wahrscheinlich nicht zu oft verwenden, der Effekt nutzt sich schnell ab.

Dienstag, Mai 16, 2006

Barmbek, Talheim, Tema

Die Deutsche Telekom AG, vermutlich repräsentiert durch die Konzerntochter T-Com, bemüht sich deutlich um die Völkerverständigung. Kunden dieses Unternehmens mögen das manchmal anders sehen, doch die Marketingstrategie ist eindeutig. Die Werbung auf der Telefonzelle an der Ecke Steilshooper Str./Habichtstraße spricht Bände:





Barmbek, Talheim, Tema. Was will uns diese Aufreihung von Orten sagen? Barmbek können wir abhaken. Ist bekannt, den Lesern des Barmblogs sollte es ein Begriff (wenn nicht sogar Heimat) sein. Nach den beiden anderen Orten musste ich googlen.



Tema, so die Wikipedia, "ist die wichtigste Hafenstadt des westafrikanischen Ghana". OK, ist auch nachvollziehbar. Schließlich ist Barmbek ja fest in afrikanischer Hand. Unzählige Call-Shops, der afrikanische Friseur an der Drosselstraße und der afrikanische Imbiss "Shalom" an der Pestalozzistraße sind nur wenige Beispiele dafür, dass es eine umfangreiche Gemeinschaft afrikanischer expatriates geben muss. Insofern: Hut ab, T-Com, da passt die Werbung gut in den Stadtteil.



Die Überraschung aber ist Talheim. Noch nie gehört, und leider ist Google auch nicht eindeutig. Talheim gibt es gleich mehrere. Da diese allerdings fast alle (bis auf eine Ausnahme) in Baden-Württemberg liegen, bin ich so frei und arrogant, die mal als "Schwaben" zusammenzufassen. Warum will T-Com in geradezu massiver Direktheit die Schwaben in Barmbek ansprechen?



Dass es in Barmbek eine ebenso große Menge Schwaben wie Ghanaer gibt, ist mir bisher nicht aufgefallen. Vielleicht sollte ich mal mit offeneren Augen durch den Stadtteil gehen. Würden mir dann weniger Dönerbuden, dafür mehr Maultaschenbuden auffallen? Mehr Daimler (Jahreswagen!), die die schmucken Einfahrten säumen? Und sicher würde mir dann auch ins Auge springen, wie die Bewohner des Stadtteils am Samstag die Bürgersteige fegen und der leise aber bestimmte Ruf "isch Kehrwoch'" durch die Straßen zwischen Stadtpark und Altem Teichweg schallt?



Dann, wenn ich das feststelle, ist es vielleicht Zeit mal wieder über einen Umzug nachzudenken.



PS: Zumindest meine Nachbarin, Frau B., kommt nicht aus dem Alemannischen. Erstens hört man das, zweitens hat sie auf meine dezente Frage, wie denn der Rhythmus der Treppenhausreinigung gehandhabt wird, geantwortet, dass man das im dritten von vier Stockwerken recht pragmatisch und nach Bedarf angehen könne. Also laufe ich hier nicht Gefahr, im Vierzehntagesintervall einen kleinen Besen an der Türklinke vorzufinden, der mich drauf aufmerksam macht, dass es mein Job ist, die Treppe und den Bürgersteig zu putzen.

Montag, Mai 15, 2006

Extremschmuck im Mund

Vor einiger Zeit in der U-Bahn in Düsseldorf das Gespräch zweier Spätadoleszenter mit Migrationshintergrund aufgeschnappt:



(leicht nuschelnd): Weißt Du, ich hab mir ein Zungenpiercing machen lassen, das hat vielleicht wehgetan.


Ich hab mir letzte Woche einen Zahn ziehen lassen.


Da frag ich mich als Unbeteligter doch, was die mutigere (weil dauerhaftere) Veränderung am Körper ist.

Sonntag, Mai 14, 2006

Küchenlatein

Nicht nur die Informatiker sind gut darin, schräge Pluralformen lateinischer Wörter zu bilden, auch der Schwede scheint eine eine gewisse Affinität zu seltsamen Deklinationen zu haben. Bei einem der zahlreichen Ikea-Besuche der letzten Zeit entdeckte ich bei den Küchen- und Badezimmerschränken:





Korpen? Das klingt schwedisch. Bislang ist mir ein Korpus nur in der Linguistik untergekommen, dort wird das Wort aber als Korpora pluralisiert. Wieder ein Fall von (linguistischem) Fachjargon gegenüber anders flektierter Alltagssprache?



Nicht ganz. Zwar ist Korpora ein wissenschaftlicher (wenn auch nicht rein linguistischer) Fachausdruck, wie mir die 22. Auflage des Rechtschreibdudens erklärte, aber in der Bedeutung "massiver Teil von Möbeln" wird Korpus mit Korpusse pluralisiert.



Im Sinne korrekter Methodik habe ich die Gegenprobe bei Google gemacht und bin auf das Blog von Annette Grabowsky gestoßen, die vor einiger Zeit vor genau demselben Rätsel stand. Schön zu wissen, dass man nicht allein ist.

Freitag, Mai 12, 2006

Botanische Verwirrung (gelöst)

Vorneweg: Ich habe absolut keine Ahnung von Pflanzen. Ich kann gerade noch bei Ikea die Kiefern- von den Buchenfurnieren unterscheiden. Seit dem letzten Sommer mache ich leichte Fortschritte bei Blumen, aber auch nur, weil ich mir immer zum Wochenausklang auf dem Freitags-Markt Schnittblumen kaufe.



Angefangen hat die Verwirrung letztes Jahr im Herbst, als es in der Kantine einen Vanillepudding mit Fliederbeerkompott gab. Ich sinnierte mit den Kollegen darüber, dass ich gar nicht wusste, dass Flieder auch Beeren trägt. Flieder kenne ich nur als das wunderbar duftende Gewächs, dass Anfang Mai in weiß oder violett viele Gärten und den Stadtpark ziert. Die Farbe der Fliederbeeren erinnerte mich eher an Holunder. Beeren habe ich daran nie gesehen. Daraufhin der Kollege M., der von Pflanzen eine ganze Menge mehr weiß als ich:



Wieso? Flieder und Holunder ist doch dasselbe.


OK, glaube dem Experten, aber ein wenig verwirrt war ich doch darüber. Muss ich erst 34 Jahre alt werden, um zu erfahren, dass es sich bei Flieder und Holunder um dasselbe Gewächs handelt? Muss wohl so sein, denn ich habe als Gegenbeweis nicht das Bild einer Frucht des Fliederbaums im Kopf gehabt.



Fast Forward in den Mai 2006



Der Flieder blüht wieder und ich wollte die Verwirrung aufarbeiten, um einen Blogeintrag darüber zu schreiben. Schnell die Wikipedia zu Rate gezogen un festgestellt, dass der Kollege M. und ich beide etwas auf dem Holzweg waren, bzw. unterschiedliche Arten von Flieder im Kopf hatten. Der Eintrag über "meinen" Flieder wird eingeleitet mit:



Dieser Artikel behandelt die heute häufig mit dem Namen Flieder bezeichnete Ölbaumgewächsgattung Syringa. Für die ursprünglich unter Flieder verstandene, heute noch in Norddeutschland als solcher bekannte Moschuskrautgewächsart siehe unter Schwarzer Holunder.


Im Gegensatz zu mir ist M. wirklich nordisch by nature und hat vermutlich die andere (ursprüngliche Art) Flieder im Kopf gehabt. Die Leute in der Kantine sind von gleicher Herkunft, bei uns im Rheinland hätte es wahrscheinlich Holunderkompott zum Vanillepudding gegeben.

Donnerstag, Mai 11, 2006

Verräterische Gadgets

Heute trägt mein Kollege seine neue Pulsuhr, die er gestern zu Testzwecken ausgeliehen hat. Es ist eine schöne Pulsuhr, die aktuelle Herzfrequenz ist deutlich lesbar, für nicht allzu kurzsichtige Menschen sogar aus einem guten Meter Entfernung. Weil er die neue Uhr so akribisch testet, trägt er auch den passenden Brustgurt bei der Arbeit.



Allerdings hat so eine Uhr auch Nachteile, weil sie den Mitmenschen doch eine Menge verrät: Ich stand eben in moderater Entfernung (ich bemühe mich, das Raumbedürfnis meiner Mitmenschen zu respektieren) von ihm entfernt und sah, dass sein Puls auf 65 stand. Einen Schritt auf ihn zu und plötzlich beginnt beim Kollegen das Herzrasen: 75. Ich lache, frage ihn, ob ich ihn nervös mache: 89. Habe das Experiment dann abgebrochen, da ich nicht schuld sein möchte, wenn der gute Mann trotz seiner gerade mal 35 Jahre am Herzkasper stirbt.



Wenn ich allerdings irgendwann mal Kaiser von Deutschland bin, werde ich dafür sorgen, dass alle Untertanen solche Pulsuhren tragen müssen. Ich will ja schließlich wissen, welchen Effekt ich auf andere Leute ausübe.

Montag, Mai 08, 2006

Null Toleranz (gegenüber neuen Nachbarn)!

Gurr, gurr


macht die Großstadttaube und es hört sich am Samstag morgen so an, als ob sie nur wenig entfernt von meinem Kopf säße. Am Sonntag morgen hatte ich zu fest geschlafen, um es zu hören, aber heute morgen um 6:30 weckte mich das fette Biest eine halbe Stunde, bevor ich eigentlich aufstehen wollte.



Aus dem Bett gepellt schleiche ich zum Fenster, um die Situation zu eruieren. Tatsächlich hat Frau Taube knapp zwei Meter von meinem Schlafzimmerfenster entfernt ihr Nest gebaut, sehr günstig in die Ecke zwischen Regenrinne und Hauswand -- mit freundlicher Unterstützung der langen Taubenabwehrdorne, die die umsichtige Hausverwaltung auf den kleinen Mauervorsprüngen des Rotklinkers angebracht hat. Dort sitzt sie mit starrem Blick und glotzt mich an.



Schließe das Fenster und verbringe eine weitere halbe Stunde im Bett. Dabei male ich mir im Halbschlaf Szenarien aus, mit welchem Instrument ich das Nest entfernen werde. Reicht ein Besenstiel? Nach dem Duschen bewaffne ich mich mit einer 2,20 m langen Sockelleiste für die Küchenschränke und schaue, ob die Taube gerade zu Hause ist. Ist sie nicht. Wahrscheinlich ist sie gerade zu Max Bahr geflogen, um noch Material für die Wohnzimmererweiterung zu besorgen, die man so schön an das schräg laufende Regenrohr anbauen könnte.



Doch den Plan kann sie sich abschminken. Das Nest ist zwar erstaunlich fest in den Dornen verankert (die Architektur-Taube hat ihre Hausaufgaben im Statik-Seminar gemacht), aber gegen mein wildes Gestocher hat das Nest keine Chance. Barmbek Nord versinkt im Staub, dann aber fallen die Reste des Nests (Kalaueralarm: vom Neste die Reste?) drei Stockwerke hinab in den Vorgarten.



Epilog: Auf dem Weg zur Arbeit höre ich beim Verlassen des Hauses ein trauriges Gurren und sehe die etwas verstörte Taube auf dem Dach sitzen, nur wenige Zentimeter von ihrem ehemaligen, schmucken Einfamiliennest entfernt. Vielleicht ist sie ja trotzig und baut an selber Stelle ein neues Nest. Ich werde das beobachten und nötigenfalls meine brutale Null-Toleranz Politik erneut anwenden, bis sie gerafft hat, dass ich keinen Bedarf an lauten Nachbarn habe.



PS: Den alternativen Titel "Ich bin nicht gut zu Vögeln" verkneife ich mir, weil ich das Kalauerbudget für die Woche nicht schon am Montag verbrauchen möchte.

Sonntag, Mai 07, 2006

Der mutigste Moment meines Lebens

War gestern abend bei meiner ersten Bloglesung. Die komplette Hamburger Blogosphäre wird sich wahrscheinlich ab heute nachmittag darüber auslassen, was für ein fantastischer Abend das war, als ein knappes Dutzend Blogger im Laufe von drei Stunden aus ihren Webtagebüchern vorgelesen haben. Den ersten Beitrag dieser Art, den ich gefunden habe, gibt es auf der Rückseite der Reeperbahn. Drum werde ich mich gar nicht damit aufhalten, ebenfalls von diesem Ereignis zu berichten.



Vielmehr möchte ich von der desaströsesten Lesung berichten, an der ich jemals das zweifelhafte Vergnügen hatte, teilzunehmen. Ende letzten Jahres war Heinz Strunk zu Gast bei Henscheid/Wieland im Toten Salon. Mein Begleiter an diesem Abend war P., den ich nicht zuletzt wegen seines ausgemacht feinen Humors sehr schätze. Heinz Strunks "Fleisch ist mein Gemüse" hatte mir im Jahr zuvor gut gefallen, sodass ich sehr gespannt darauf war, wie sich Heinzer live bewähren würde.



Das Nachtasyl war an diesem Abend ganz kurz vor dem 4:3 des FC St. Pauli über Hertha BSC vor Weihnachten bis auf den letzten Platz ausverkauft. Ich könnte mir vorstellen, dass die Auslastung des Raumes nicht ganz im Einklang mit den feuerpolizeilichen Bestimmungen stand. Doch das focht uns nicht an, denn wir waren früh da und hatten freie Platzwahl. Wir entschieden uns für die breite und gut gepolsterte Fensterbank, die ungefähr zwei Meter oberhalb der loungigen Sitzlandschaft einen freien Blick auf die Bühne versprach.



Der Stargast, so wurde angekündigt, werde erst ein wenig später erscheinen und die zweite Hälfte des Abends dann allein bestreiten. Der Abend begann hervorragend: Henschel und Wieland bestritten die erste Hälfte der Veranstaltung gekonnt, souverän und witzig.



Nach der Pause betrat Heinzer die Bühne. Groß gewachsen, mit eitler Gesichtsbehaarung und einem Anzug, auf dessen Brusttasche ein Tigerkopf prangte, kündigte der populäre Autor an, dass er an diesem Abend nichts "aus dem Scheißbuch" vorlesen werde, sondern ausschließlich unbekannte Preziosen zur Darbietung bringen werde. Hm, ok, kann ja auch ganz gut sein.



Die ersten Nummern liefen etwas langsam an, aber gut, der Mann kam zu spät, musste sich erst an das Publikum gewöhnen und ein wenig Vertrauensvorschuss in sein Unterhaltungsvermögen wollten wir ihm ja auch zollen. Doch als es nach zwanzig Minuten nicht besser wurde, lugte ich ein wenig aus meinem Mikrokosmos heraus. Der größte Teil des Publikums fühlte sich großartig unterhalten. Man lachte, klatschte wohlwollend nach jeder noch so mediokren Nummer. Auch, dass der Künstler mehr als nur einmal während seiner Lieder hilflos stammelnd nach dem vergessenen Text suchte, konnte der guten Stimmung des Publikums keinen Abbruch tun. Ich fand es eher beunruhigend, dass er dort auf der Bühne stand, eher lallend den Schellenkranz schlug und offensichtlich ganz furchtbar schlecht vorbereitet war oder massiven Missbrauch bewusstseinsverengender Drogen betrieben hatte. Ein Künstler auf der Bühne ist nicht witzig, wenn er "Äh, äh, wie war das jetzt nochmal stottert". Souveräne Künstler wie Helge Schneider machen ein "Text vergessen, scheißegal" zu einem Glanzlicht des Programms, Heinzer spielt da eher in der Kreisliga der Comedians.



Dezente Blicke zu P., der neben mir das Geschehen beobachtete, zeigten, dass ich nicht allein war mit meinem Unbehagen. P. fand es offenbar auch nicht im geringsten komisch, wie sich der eitle Geck auf der Bühne gerierte. Mir wurde es mittlerweile wirklich peinlich. Ich habe diese Eigenschaft, dass mir peinliches Verhalten anderer Leute sehr körperliches Unbehagen bereitet. Das war schon Neunzehnhundertirgendachtzig so, als bei dem Fernsehjahresrückblick "Menschen" Leute auf der Straße gebeten wurden, die "Hits des Jahres" zu singen. Mann, habe ich mich damals unter dem Sofa verkrochen. Andere Comedy baut auf diesen Effekt: "The Office" oder "Extras" ziehen große Teile ihrer Komik aus dem verletzten Peinlichkeitsgefühl des Betrachters. Doch ich schweife ab, zurück zu Heinzer -- oder eher zu P., der mich so fassungslos anschaute, wie ich ihn und die schweren Worte sprach: "Das geht gar nicht".



In unseren Köpfen reifte binnen der nächsten Minuten derselbe Entschluss: Bloß raus hier! Das war nicht so einfach, befanden sich unsere Plätze doch an der Stirnseite des Raums in einer höhe von zwei Metern über einem voll besetzten Sofa. Die Tür war zwar nur zehn Meter entfernt, es galt aber mindestens 20 Besucher zu überwinden, die nahezu gestapelt saßen. Trotzdem, der Druck war groß, denn der selbstgefällige Geck auf der Bühne machte keine Anstalten, die Show in weniger als zwei Stunden zu Ende gehen zu lassen. Die Bar war näher als der Ausgang und die Vorstellung eines Hinterausgangs war verlockend.



In der nächsten Liedpause stiegen wir Kamikaze-Style von unserem Hochstand herab und kämpften uns zur Theke durch. Das war die falsche Richtung, einen Hinterausgang gab es nicht. Wir hatten uns in eine Sackgasse manövriert. Von unserem neuen Standort aus war es unmöglich, zu den alten Plätzen zurückzukehren und der Ausgang war auf einmal noch viel weiter entfernt auf der gegenüberliegenden Seite des Raums. Auch in diesem Moment arbeiteten P.s und mein Gehirn wieder synchron, als wir erkannten, dass der einzig mögliche Fluchtweg über die Bühne führte. Direkt hinter dem Darbietenden vorbei. P. ist deutlich größer als ich und sieht um einiges ehrfurchtseinflößender aus, also musste er vorausgehen.



Die nächste Liedpause, in der Heinzer sich ein paar Sekunden Pause gönnte, um sich des Schellenkranzes zu entledigen und wieder an den Tisch zu setzen, nutzten wir, um gemessenen und bestimmten Schrittes die Bühne zu betreten, uns dezent hinter dem Darbietenden entlangzudrücken und in Richtung Ausgang zu streben. Der Mann war so unsouverän, dass er nicht mal für diese Situation mit einem Spruch gewappnet war, der ihn noch als moralischen Sieger erscheinen ließ. Er drehte sich zu mir um und raunte ein:



Du machst mir Angst.


hinterher. Ich antwortete mit einem zugegebenermaßen recht einfallslosen "Mmmmhhhmmm", was mir ein



Na, besser kommen als gehen


als Replik einbrachte. Nicht besonders komisch. Von der Bühne zum Ausgang waren es nur noch wenige Meter und ein paar "Tschuldigungs" später erreichten wir den sicheren Hafen. Tür auf, raus, Tür zu, tief durchatmen, ein fassungsloses "War war das denn?" gefolgt von einigen Trostbieren in der Wirtschaft nebenan beendeten nicht nur den Abend, sondern auch meinen Respekt vor Heinz Strunk.

Dienstag, Mai 02, 2006

Pietätloser erster Gedanke

Am Sonntag morgen ist Paul Spiegel gestorben. Er wohnte in Düsseldorf auf derselben Straße wie mein Vater, nur ein paar Häuser weiter. Seit Herr Spiegel Zentralratsvorsitzender wurde, steht Tag und Nacht vor seinem Haus ein besetzter Polizeiwagen, der diese ruhige Wohnstraße in Düsseldorf Oberkassel zur vermutlich einbruchsichersten Straße der Stadt gemacht hat. Wahrscheinlich kann man dort sogar sein Fahrrad unabgeschlossen auf der Straße stehen lassen.



Die Beamten habe ich oft bemitleidet, wenn sie bei Wind und Wetter in ihrem Wagen sitzen oder vor der Haustür stehen. Sie wissen, dass sie ihre Arbeit gut gemacht haben, wenn nichts passiert ist. Was für ein langweiliger Arbeitsalltag.



Mein erster Gedanke, als ich im Radio vom Tod Spiegels hörte, galt den Polizisten. Bildhaft habe ich mir vorgestellt, wie sie -- über Radio oder den Polizeifunk von dem Ereignis hörend -- den Motor anlassen und einfach wegfahren. Oder zumindest glücklich gucken, weil dieser bodenlos langweilige Einsatz nun wohl wegfällt. Dass dies nicht so einfach geht, ist klar. Muss daran denken, meinen Vater zu bitten, mir Bescheid zu sagen, wann der Objektschutz auf seiner Straße eingestellt wird. Und in Zukunft das Fahrrad wieder anschließen.