Mittwoch, März 28, 2007

Üble Abfuhr (selbst geflochtener, unverlangter Korb)

Ganz furchtbar ist der Tag, an dem man das erste Mal von jüngeren Leuten aus der eigenen Peer-Group gesiezt wird. Man möchte am liebsten sofort das nächstgelegenste Seniorenheim um Asyl bitten, zumindest aber zum Arzt rennen, um mit Vorsorgeuntersuchungen anzufangen, so alt kommt man sich dabei vor. Wenn dieses erste Gesiezt werden auch noch in einer Studentenkneipe passiert, kann einen das ganz schön verstören. Sollte das ganze auch noch -- um noch einen drauf zu setzen --- in einen Korb münden, denkt man an Spontansuizid. Wem das passiert ist? Ratet mal!


Georg und ich saßen im städtisch geförderten Veranstaltungszentrum unserer Universitätsstadt. Ja, genau, diesem Mischding aus Kneipe, Kulturhaus und Programmkino, das es überall gibt, wo es auch Rollenspielgruppen und lateinamerikanische Kulturvereine gibt. In unserem Fall war es die "Lagerhalle" in Osnabrück. Es war ein Abend, wie wir sie 1998/99 reichlich hatten: Wir tranken unsere Weizenbiere und erfreuten uns an den umherlaufenden jungen Damen. Die kleine rothaarige Kellnerin, die ich schon häufig mittags in der Mensa gesehen hatte, kam auf uns zu und stellte die böse, böse Frage:


Möchten Sie beide auch noch etwas trinken?


Das war's. Nichts würde mehr so sein wie vorher. Die kleine rothaarige Kellnerin hatte mich gesiezt. Wie ein Vorschlaghammer vor den vorderen Hirnlappen traf mich die Anrede im Plural der Dritten Person. Ich war so konsterniert, das mein Artikulator leichte Aussätze zeigte und ich wohl etwas undeutlich fragte:


Siezt Du mich auch in der Mensa?


Nur dass alle Anwesenden (Georg und -- vor allem -- die kleine rothaarige Kellnerin) verstanden haben:


Siehst Du mich auch in der Mensa?


Zuerst verstand ich nicht, warum Georg auf einmal mit offenem Mund dasaß und mich anschaute, als hätte ich gerade versucht, die kleine rothaarige Kellnerin anzugraben -- obwohl ich doch noch in den besten Händen war, damals. Es dämmerte mir, doch der Satz war gesagt und sie hatte mich auch falsch verstanden.


Sie war ebenfalls verblüfft. Fragte zurück:


Studierst Du auch?


Puh, da war es wieder, das "Du". Immerhin. Nichtsdestotrotz ging von da an alles den Bach runter:


Ja, Computerlinguistik.


Antwortete ich, in der vagen Hoffnung, noch etwas retten zu können. Doch das war müßig, das Urteil war gefallen:


Bäh!


sagte sie und verschwand.


Ich habe die kleine rothaarige Kellnerin danach natürlich noch häufig in der Mensa gesehen. Sie mich vermutlich auch. Doch nie hat sie ein freundliches Zeichen der Wiedererkennung von sich gegeben.


Irgendwann verließ ich die Stadt.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hm. Ich kann den Schmerz nicht so richtig nachvollziehen, da ich von jeher zu den Menschen gehöre, die da fragen ”darf ich dich siezen oder muß ich Sie duzen?”. Aber für den Charlie Brown Faktor der Geschichte gibt's Punkte. ;)

Anonym hat gesagt…

Deutsche Sprache, schwere Sprache. . .

In English, the point at which you want to worry is when you are addressed as 'sir', resp. 'madam'. Unless you are unfortunate enough to run into an obsequious jobsworth, that will only happen in either very exclusive locations (in which case you get what you deserve for being a Bünzli) or when you're clearly the dark side of 40.

So did you get another beer that night then, or not?

Alexander hat gesagt…

Kiki: Mittlerweile sieze ich ja auch eher als dass ich jemanden duze. Außer in Weblog-Kommentaren. Aber in diesem Fall war es so, dass ich ca. 27 oder 28 war, die kleine rothaarige Kellnerin eher 21, 22. Das tat weh. Die Charlie Brown-Punkte lege ich in's Sparschwein. .-)

Katherine: Don't get me started on English phonology... As if a misunderstanding like this couldn't happen because someone mistook one of the dozen ways to pronounce "ough"! I'm sure wars were begun because of such things.

Anonym hat gesagt…

Nah - we only start wars for eminently sensible reasons - like if Dubya tells Tony to :-/

As for our trusty -ough, repeat after me: A rough-coated, dough-faced, thoughtful ploughman strode through the streets of Scarborough; after falling into a slough, he coughed and hiccoughed.
Easy ;-)