Montag, September 25, 2006

Barmbek Vista Social Club

Gestern, auf dem Rückweg von Kaffee.Satz.Lesen, am S-Bahnhof Alte Wöhr: H. (die Schwester meines Cousins, die aber nicht meine Cousine ist) und ich gehen den Bahnsteig entlang zur Treppe. Schon in größerer Entfernung werden wir Zeugen eines heftigen Wortgefechts zwischen einer Frau Ende 20 und einem etwa gleich alten Mann. Sie schreit wirres Zeug, ist vollkommen hysterisch. So, wie sie Ihre Bierflasche hält, ist dies nicht die erste, die sie an diesem Tag in der Hand hat. Ach, was soll das Gerede: Sie war voll bis Oberkante Unterlippe. Er schreit zurück, ist ebenfalls hysterisch, aber nicht ganz so abgedreht wie sie.



Ist also eine Sitaution, wie man sie dutzendfach am Tag in einer Großstadt erleben kann. H. und ich folgen unserem Instinkt, diese Szene möglichst teilnahmslos an uns vorüber gehen zu lassen, oder aktiv formuliert: möglichst teilnahmslos an dieser Szene vorbeizugehen.



Das wird jedoch schwer, denn wir sind nur wenige Meter von den beiden entfernt, als er ausholt und der Frau mit der flachen Hand auf die Wange schlägt. Sie schreit auf, lässt die Flasche fallen und geht zu Boden. Sie ist nun vollkommen unter Schock, schreit, hält sich das Gesicht und reagiert nicht, als ich mich herunterbeuge, ihr die Hand hinhalte, um ihr wieder auf die Beine zu helfen.



Nun bin ich involviert und kann nicht einfach sagen, "OK, die will keine Hilfe, lass uns weitergehen." Stattdessen evaluiere ich eine Schrecksekunde lang meine Chancen, drehe mich zu dem Mann um, der etwa einen halben Kopf größer ist als ich und auch sonst bulliger wirkt, und sage mit todernster Stimme:



Du schlägst sie jetzt nicht nochmal, oder?


Er, völlig verdattert und wahrscheinlich von sich selbst überrascht, nimmt dies glücklicherweise nicht als Einladung, stattdessen mir eine zu langen, sondern schreit:



Ich hab' die noch nie vorher geschlagen, aber Du glaubst doch nicht, dass ihr das wirklich weh tut, das ist doch nur Show!


Inzwischen hat sich die Frau ein wenig aufgerappelt und schleppt sich immer noch schreiend die Treppe hinunter. Unten versucht ein anderer Passant mit Bierflasche (was soll das? Ist heute Barmbeker Biertag?) sie zu beruhigen, von oben brüllt der Mann: "Deine Scheiß-Sachen stehen hier oben, kannst Du Dir holen!". H. und ich sind der Meinung, die Situation ist entschärft und verlassen ein paar Meter hinter der immer noch schreienden und weinenden Frau das Bahngebäude.



H. gibt zu, dass das ja nicht so aussah, als ob es wirklich so sehr wehgetan hätte. Hm, was soll man da sagen? Ich gebe ja zu, dass der schwer rationale Teil meines Gehirns nach der klatschenden Ohrfeige versucht hat, die Schwere des Schlags einzuordnen. Ergebnis: Die war wohl schon nicht mehr so fest auf den Beinen, wenn sie das umgehauen hat. Aber solche Maßstäbe darf man ja nicht ansetzen, wenn so'n Typ mitten in der Öffentlichkeit eine Frau schlägt.



Zumindest ist sie abgedreht genug, dem Mann -- der sie mittlerweile links liegen gelassen hat -- etwas hinterzurufen, was ich von der anderen Straßenseite nicht mehr ganz verstehe, woraufhin er sich umdreht und zurückbrüllt: "Ich? Ein Feigling? Ich?"



Och nöö, Alte, nicht auch noch einen draufsetzen, ist mein Gedanke, als H. und ich in die Tischbeinstraße einbiegen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Sagte ich Dir schon mal, wie sehr ich das Web liebe? Von Deinem (hm, suche nach Attribut) Bericht lockte es mich zu kaffee.satz.lesen und von dort weiter zur Fotografin Kerstin Schlitter, auf deren Seiten ich ein wundervolles Konzertfoto fand. Ich war nämlich zeitgleich am Aufnahmeort. :-)